Was hilft, Gewalt zu stoppen? Wie kann man den ewigen Kreislauf durchbrechen? Darum soll es heute gehen.
Verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen, wie sehr gewalttätiges Verhalten durch bestimmte Faktoren begünstigt wird. Und wenn das stimmt, dann muss es doch auch möglich sein, die Dinge positiv zu beeinflussen. Doch was kann ich, was können Sie dafür tun?
Gerne möchte ich an dieser Stelle einen Bogen schlagen. Einen Bogen in Richtung unverarbeitete Traumatisierungen. Bei all dem Leid dieser Welt, fragen wir uns oft, wie das sein kann. Wir fragen uns, was einen Menschen dazu bringt, auf brutalste Art zu morden oder teilnahmslos und unberührt zu bleiben, wenn andere unter ihrem Leid zusammenbrechen.
Einerseits hören wir immer wieder von Psychopaten und dem angeborene Fehlen von echter Emotionalität. Andererseits beschreiben systemische Ansätze, wie sich ein Trauma über mehrere Generationen hinweg halten kann (was ganz plump gesagt soviel bedeutet, wie wir tragen auch die Erlebnisse unserer Vorfahren in uns). Schon das Kind im Mutterleib nimmt sehr viel von dem auf, was in seiner Umgebung geschieht. Es muss also nicht erst geboren werden, um Veränderungen in der eigenen Hirnstruktur, im Nervensystem, in der Entwicklung zu verzeichnen. Und dann wäre da noch der Einfluss von Ernährung, Umwelt, Erziehungsmethoden und Co.
Wohl jeder von uns kennt Sätze, wie: „Das hat mir damals auch nicht geschadet.“ – bezogen auf Prügelstrafen und Tatzen in der Schule. Es ist erstaunlich, dass aus dem Munde einer einzigen Person kurz hintereinander der Bericht von Gewalttaten kommt und dann das. Manche sagen auch: „Damals hast du nichts zu lachen gehabt.“ Wie geht das? Dass man einerseits bekundet, dass die Schläge nicht geschadet haben und andererseits habe man nichts zu lachen gehabt?
Lachen ist Ausdruck von Freude, Ausdruck von Lebensmut und Gelassenheit. Und lachen verbindet. Es gibt nicht umsonst Lach-Yoga oder auch den Rat, ein Lächeln künstlich zu erzeugen, bis man schließlich die Emotion spürt. Fake it, till you make it.
Das ist ein gutes Stichwort. Spüren. Sich spüren können, seine eigenen Emotionen erleben – mit allen Sinnen… das ist nicht nur angenehm, nein, es ist auch mit Blick auf Gewaltprävention äußerst hilfreich. Dies belegen Projekte wie TTL und AISCHU.
TTL (Take The Lead) ist eine Methode, bei der gezielt die Emotionsregualtion und Empathie unter jungen Menschen gefördert wird. Außerdem lernen die Teilnehmenden Techniken zur Konfliktlösung und das Selbstvertrauen wird gestärkt. Bereits in den 90er Jahren entstand dieses Modell, das auf Erkenntnisse aus Forschungen zur emotionalen Intelligenz basiert.
AISCHU (Achtsamkeit in der Schule) wurde von Prof. Dr. Vera Kaltwasser entwickelt. Achtsamkeitsübungen in den Schulalltag einbinden und Stress abzubauen steht hier im Vordergrund. Die Resilienz der Schüler wächst dadurch ebenso, wie soziale Kompetenzen. Auch Lehrkräfte berichten, dass durch die Einbettung in den Schulalltag ihre Stressresistenz und das eigene Wohlbefinden gestiegen sei.
Schauen wir auf bereits gewalttätig gewordene Menschen, so zeigt sich, dass einige davon über fehlende Stabilität in der Bindung zu ihren Bezugspersonen wie z.B. den Eltern berichten. Manche erzählen von fehlenden Vorbildern oder emotionaler Vernachlässigung. Unerfüllte Bedürfnisse nach Nähe, Zugehörigkeit und Sicherheit können sich später als Aggressionen ausdrücken.
Das bedeutet, dass es von höchster Bedeutung ist, sich einerseits dem zu stellen, was man unter unverarbeiteten Traumata versteht. Andererseits heißt das aber auch, als Gesellschaft ein Verständnis dafür zu entwickeln.
Als Mutter und als Frau möchte ich einen kleinen Einblick in meine ganz eigenen Erfahrungen geben:
Mit 17 Jahren kam mein erstes Kind zur Welt. Und an eine Szene erinnere ich mich noch sehr genau. Ich hatte Besuch und mein Baby schrie schon eine Weile. Anscheinend bewegte ich mich in aller Seelenruhe, denn offensichtlich hatte ich dieses „Geräusch“ ausgeblendet. Solange, bis mein Besucher mich anstupste „Hey! Dein Kind schreit. Hörst Du das nicht?“ – die stille Antwort in mir lautete „Nein.“ Ich hatte das wirklich nicht gehört.
Heute weiß ich, dass man diese emotionale Taubheit auch Dissoziation nennt und dass das eine Folge sein kann von traumatischen Erlebnissen.
Dissoziation ist ein Schutzmechanismus. Das fängt beim Tagträumen an und kann bis hin zur Ohnmacht gehen. Wir tun gut daran, wenn wir uns mit solchen Phänomenen wenigstens ein bisschen auskennen. Wir tun gut daran, wenn wir erkennen, was schief läuft. Denn dann können wir den Kreislauf auch durchbrechen. Es gibt Methoden, um sich und die Umwelt wahrzunehmen. Es gibt Methoden, um sich selbst zu regulieren und es gibt Hilfesysteme auf die wir zurückgreifen dürfen.
Welche dieser Methoden kennen Sie? Was hilft Ihnen am meisten?
Na sicher gibt’s was, das Ihnen hilft. Nur vielleicht ist es schon so selbstverständlich geworden, dass Sie nicht mehr darüber nachdenken.
Wie wär’s mit ein paar Ideen dazu im nächsten Beitrag? Ich freue mich drauf!
Alles Gute, bis dahin!
03.11.2024 Sarah-Isabell Hellriegel-Rodríguez