Tabu... oder Zeit drüber zu reden?
„Sarah, was ist eigentlich harter Sex?“
Es war an einem sommerlichen Nachmittag, als Else* (75 Jahre) auf mich zukam. Ich stand im Eingang zu ihrer Wohnung. Mit den Gedanken an eine Tasse Tee bei ihr war ich eingetreten. Nun schoben sich unwillkürlich meine Augenbrauen nach oben.
„Ja, ähm… also, das kommt drauf an.“, stammelte ich. Während sie mich mit einem neugierigen Blick musterte, versuchte ich nicht ganz so blöd zu schauen. Ich muss zugeben, das hat mich erst einmal sprachlos gemacht.
Was für ein Glück, dass sie so ganz unerschrocken erzählte, sie habe einen Bericht im Radio gehört und da sei dieser Begriff gefallen. Dann grinste sie mich an und meinte: „Weißt du, ich dachte, wenn ich jemanden sowas fragen kann, dann dich.“
Was für eine Ehre. Was für eine Ehre, dass sie so viel Vertrauen in mich hat, das Thema anzuschneiden.
Aus diesem ungewöhnlichen Moment ergaben sich viele weitere Gespräche. Else war nicht die Einzige, die mich ansprach. Da gab es noch Karl* (80 Jahre), der sich fragte, wie er mit seiner Lust umgehen solle, jetzt, wo seine Frau nicht mehr will. Und Herta*, deren Alter ich nicht kenne, erzählte, dass sie gern mal wieder küssen und intim werden würde, aber seit ihr Mann verstorben sei, wisse sie nicht, ob das überhaupt noch geht. Außerdem klappen ihre Dritten öfter mal runter, wenn sie beim Lachen den Mund zu weit aufmacht; das ist ihr schrecklich peinlich. Nicht auszumalen, wenn das beim Küssen passieren würde.
Eine US-Studie¹ belegt, dass sexuelle Aktivität mit zunehmendem Alter (57–85 Jahre) abnimmt, jedoch weiterhin bei einem relevanten Teil der Menschen vorhanden ist. Häufige Probleme sind bei Männern erektile Dysfunktion (37 %) und bei Frauen fehlender sexueller Wunsch (43 %) oder mangelnde Lubrikation (39 %). Die WHO² sieht Sexualität als einen integralen Bestandteil von „Healthy Aging“ und betont, dass sexuelles Wohlbefinden eng mit allgemeiner Lebensqualität, Mobilität, kognitiver Gesundheit und Autonomie verknüpft ist. Auch mit Blick auf die Grundbedürfnisse eines Menschen müsste klar sein, dass Lust, Leidenschaft und Verbundenheit nicht plötzlich verschwinden mit dem Erreichen des Rentenalters.
So viel zur Wissenschaft auf diesem Themengebiet. Aber wie ist es nun wirklich? Bleibt uns die Spucke weg, wenn wir über Scheidentrockenheit und blockierende Hüftgelenke reden, oder fassen wir uns ein Herz und erkennen die Bedeutung von Sexualität im Alter an?
Mit Else haben wir aufgeräumt, was die Frage nach hartem Sex angeht – zumindest in Form eines Austauschs, der bis heute anhält. Ob unsere Großeltern wirklich keine Libido mehr haben??? Ich glaube nicht.
*Namen und Details aus Gründen der Wahrung der Identität geändert.
Quellen:
1 Lindau, S. T., Schumm, L. P., Laumann, E. O., Levinson, W., O’Muircheartaigh, C. A., & Waite, L. J. (2007). A study of sexuality and health among older adults in the United States. New England Journal of Medicine, 357(8), 762–774. https://doi.org/10.1056/NEJMoa067423
² World Health Organization. (2015). World report on ageing and health. Geneva: WHO Press.
https://www.who.int/publications/i/item/9789241565042
Sarah-Isabell Hellriegel-Rodríguez, 23.08.2025
